10. Mai 2023

Wie Deutschland ohne russisches Gas durch den Winter kam Wie Deutschland ohne russisches Gas durch den Winter kam

Die deutsche Wirtschaft hat das Ende der russischen Gaslieferungen verkraftet und hätte auch einem Importstopp ab April 2022 standhalten können. Das zeigt eine Analyse von Prof. Dr. Moritz Schularick, Mitglied des Fachbereich Wirtschaftswissenschaften und designierter Präsident des Kiel Institut für Weltwirtschaft zusammen mit Prof. Dr. Benjamin Moll (London School of Economics) und Dr. Georg Zachmann (Bruegel).“  Die Studie ist als „ECONtribute Policy Brief“ des Exzellenzclusters ECONtribute erschienen.

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Für ihre Analyse blicken Schularick und seine Kollegen auf kürzlich veröffentlichte Zahlen für das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP). Diese bestätigen, dass die deutsche Wirtschaft dem Ende der russischen Gasimporte standgehalten hat. „Dieses Ergebnis sollte die im letzten Jahr ausgelöste Debatte über die Auswirkungen eines Importstopps russischer Energie endgültig beenden“, sagt Moritz Schularick. Bereits im Frühjahr 2022 hatte sein Team anhand eines makroökonomischen Modells berechnet, welche wirtschaftlichen Folgen ein Stopp russischer Energieimporte hätte. Die Analyse prognostizierte einen Rückgang des BIP von bis zu drei Prozent im Vergleich zu einem Szenario ohne Embargo.

Anpassungsfähigkeit der Industrie unterschätzt

Das BIP wuchs 2022 um knapp zwei Prozent, obwohl Deutschland im Juni teilweise und im August vollständig vom russischen Gas abgeschnitten war. Auch während der Heizperiode konnte Deutschland eine Rezession vermeiden. Das BIP schrumpfte nach vorläufigen Schätzungen im vierten Quartal 2022 zwar zunächst um 0,5 Prozent, stagnierte dann aber im ersten Quartal 2023. Die Zahlen bestätigen, was die Forschenden bereits im vergangenen Frühjahr prognostizierten: Die Industrie passte sich der Energiekrise an und sparte Gas ein. Während die Produktion in energieintensiven Sektoren wie Chemie und Glas stark zurückging, waren andere Sektoren laut Statistischem Bundesamt kaum betroffen. „Marktwirtschaften haben eine enorme Anpassungsfähigkeit, die massiv unterschätzt wurde“, sagt Schularick. Darüber hinaus sei Deutschland sehr erfolgreich bei der schnellen Beschaffung von Gaslieferungen aus Drittländern und dem Aufbau von Flüssigerdgas-Kapazitäten (LNG, Liquefied Natural Gas) gewesen.

Das Ergebnis sei nicht von milden Wintertemperaturen getrieben. Die durchschnittliche Wintertemperatur war im Winter 2022/23 mit 2,9 Grad Celsius laut Deutschen Wetterdienst sogar leicht kälter als die Durchschnittstemperatur in den vier vorherigen Wintern. Hinzu kamen der Ausfall vieler französischer Atomkraftwerke und der Brand in der größten amerikanischen LNG-Anlage, die die Anpassung erheblich erschwerten.

Fazit: Wirtschaft hätte Importstopp im April 2022 standhalten können

Auch bei einem früheren Ende der Gasimporte aus Russland Ende März 2022 wäre Deutschland ohne Gasengpässe durch den Winter gekommen. Die Daten zu Gasimporten und der Füllstände der Gasspeicher am Ende der Heizperiode zeigen, dass die russischen Gasimporte nach März 2022 nicht ausschlaggebend für die deutsche Versorgungssicherheit waren. Unter Berücksichtigung der Importe von russischem Gas über Drittländer sowie der Reexporte importierte Deutschland zwischen April und August 2022 rund 100 Terawattstunden Gas aus Russland, was etwa 40 Prozent der maximalen Speicherkapazität entspricht. Im April 2023 waren die Gasspeicher zu rund 65 Prozent gefüllt. Bei einem Importstopp im April 2022 hätte Deutschland den Winter also mit bis zu 25 Prozent gefüllten Gasspeichern überstanden. Da eine Abschaltung Anfang April 2022 mit dem Ende der vorangegangenen Heizperiode und einem Rückgang der Nachfrage der Haushalte zusammengefallen wäre, hätten die Gasvorräte den Berechnungen zufolge zu jedem Zeitpunkt ausgereicht, um sowohl den Gasbedarf der Industrie als auch den der Haushalte zu decken.

„Dass ‚Glück‘ Deutschland durch den Winter gebracht hat, wurde in der öffentlichen Debatte erheblich überbewertet“, fasst Schularick zusammen. Der Erfolg sei vor allem auf die Anpassungsfähigkeit der Wirtschaft in Kombination mit einer guten Wirtschaftspolitik zurückzuführen.

Presse und Kommunikation
Carolin Jackermeier
Tel. +49 221 470 7258
M jackermeier@wiso.uni-koeln.de

Inhaltlicher Kontakt:
Prof. Dr. Moritz Schularick
ECONtribute, Universität Bonn
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M schularick@uni-bonn.de

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