Das nun bewilligte Vorhaben „BAyesian Estimation for Heterogeneous Agent New Keynesian Models (BASEforHANK)“ zielt darauf ab, ein Software-Tool für politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger zu entwickeln. Mit diesem können sie nachvollziehen, wie sich geplante Maßnahmen auf die Makroökonomie aber auch auf die Einkommens- und Vermögensverteilung auswirken, und sind so in der Lage, die Auswirkungen ihrer Politik besser zu verstehen.
Das Tool orientiert sich an bestehenden dynamischen stochastischen allgemeinen Gleichgewichtsmodellen (DSGE-Modelle), deren Einsatz heute in politischen Institutionen allgegenwärtig ist. So ist es zum Beispiel gängige Praxis der Zentralbanken, solche Gleichgewichtsmodelle zu verwenden, um die Auswirkungen ihrer (Zins-) Politik auf den Konjunkturzyklus zu bewerten. Allerdings beschränken sich deren Struktur und Algorithmen weitgehend auf Konstellationen, die von einem repräsentativen Haushalt oder Unternehmen ausgehen. „Dies schließt die Analyse von ökonomischer Ungleichheit und Verteilungsfragen aus – ein zentrales Thema der heutigen Wirtschaftspolitik“, sagt Prof. Christian Bayer, der auch Mitglied in dem Exzellenzcluster Hausdorff Zentrum für Mathematik der Universität Bonn sowie dem Exzellenzcluster Econtribute der Universitäten Bonn und zu Köln ist. „So wurden zum Beispiel bei den Maßnahmen während der Corona-Pandemie sowohl in Europa als auch den USA hohe Mittel zur Stabilisierung der Konjunktur eingesetzt, die erwarteten Auswirkungen aber wie vor 50 Jahren bewertet: auf der Grundlage von Daumenregeln und nicht auf der Grundlage geprüfter wirtschaftlicher Gleichgewichtsmodelle.“ Auch von wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels oder der Energiekrise sind nicht alle Haushalte gleichermaßen betroffen. Nur mit Instrumenten, die diese Heterogenitäten modellieren, können politische Entscheidungsträger Maßnahmen entwerfen, die auf der Gesamtebene wirksam sind und gleichzeitig niemanden zurücklassen.
Aus diesem Grund wäre es ein Durchbruch für politische Institutionen eine innovative, einfach anzuwendende Modellierungsplattform verfügbar zu haben, die die Entwicklung von heterogenen Agenten-Konjunkturmodellen (sogenannte "HANK-Modelle") ermöglicht. Sie muss dafür so benutzerfreundlich, schnell und vielseitig sein wie die bisherigen Werkzeuge für repräsentative Agenten, aber darüber hinaus Rückkopplungen in Bezug auf Ungleichheit erfassen, die sich aus politischen Entscheidungen ergeben. Die Pilotsoftware BASEforHANK soll dies in Zukunft bieten und damit zum Hauptinstrument der makroökonomischen Politikgestaltung werden.
Grundlage ist ein Nebenprodukt aus der Grundlagenforschung
Der Kern von BASEforHANK entstand als Nebenprodukt aus der Grundlagenforschung in einem ebenfalls durch den ERC geförderten Projekt: 2016 erhielt Christian Bayer einen „ERC Consolidator Grant“ (https://www.uni-bonn.de/de/universitaet/presse-kommunikation/presseservice/archiv-pressemitteilungen/2016/310-2016) in Höhe von 1,3 Millionen Euro. Dort entwickelte er die Pilotsoftware, die nun im neuen ERC-PoC Projekt angepasst und entscheidend weiterentwickelt wird, damit sie benutzerfreundlicher und vielseitiger wird. Für Prof. Bayer ist es die dritte ERC-Förderung: Bereits 2011 erhielt er einen „Starting Grant“, auf dessen Pionierarbeit die weiteren Projekte aufbauen.
Erneut ein Proof-of-Concept Projekt der Uni Bonn
„Nach den bisherigen ERC Proof-of-Concept-Projekten aus den Naturwissenschaften und der Medizin ist nun auch ein Antrag aus den Wirtschaftswissenschaften erfolgreich. Proof of Concept-Projekte aus den Sozialwissenschaften sind eher selten im Vergleich zu Natur- und Ingenieurswissenschaften“, sagt Sandra Speer, Leiterin des Transfer Centers enaCom. enaCom berät die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Bonn bei der Antragsstellung dieses transferbezogenen Förderprogramms. „Der Charme, aber auch die besondere Herausforderung in der Verwertung der innovativen Konjunkturmodell-Toolbox von Professor Bayer besteht nun in der Kommerzialisierung der Pilotsoftware. Mit der ERC Proof-of-Concept Förderung kann in diesem Projekt gemeinsam mit Unterstützung der PROvendis GmbH ein geeignetes Business Modell entwickelt werden“, sagt Dr. Daniela Treutlein, Innovation Scout beim Transfer Center enaCom.
Die mit je 150.000 Euro dotierten ERC Proof-of-Concept Grants unterstützen Forschungsarbeiten im Frühstadium, die das Potenzial haben, kommerzielle oder gesellschaftliche Auswirkungen zu haben. Sie richten sich ausschließlich an Forschende, die bereits einen ERC Grant erhalten haben und die darin geförderte Pionierforschung zu realen Anwendungen weiterentwickeln wollen. Die Fördersumme soll helfen, die Lücke zwischen den Ergebnissen der Forschung und den frühen Phasen einer Vermarktung zu schließen.